LG Gießen, Urteil vom 06.11.2019
800.00 € Schmerzensgeld wegen Hirnschädigung nach Sauerstoffunterversorgung unter einer Nasenbein-OP
Der im OP-Zeitpunkt 17-jährige Kläger war wegen eines Nasenbeinbruchs operiert worden. Durch einen Fehler bei der Bedienung des Sauerstoffgerätes kam es während der Vollnarkose für 25 Minuten zu einer Sauerstoffunterversorgung des Gehirns. Das LG hielt für den Ausgleich der Schäden ein Schmerzensgeld von insgesamt 800.000 € für angemessen. Wegen der Sauerstoffunterversorgung sei der Kläger zu einem selbstbestimmten Leben nicht mehr in der Lage. Bei der Höhe des Schmerzensgeldes berücksichtigte das Gericht auch das noch sehr junge Alter des Klägers und den Umstand, dass die fehlerhafte Bedienung des Beatmungsgerätes in der Gestalt des fehlerhaften Anschlusses der Schläuche dem Bereich der voll beherrschbaren Risiken zuzurechnen sei.
OLG Köln, Urteil vom 11.10.2019, AZ 6 U 142/19
Importeur eines Medikamentes darf Originalverpackung nicht öffnen und in eigene Verpackung umpacken
Zwar muss der Importeur eines Krebsmedikamentes die Originalverpackung öffnen, um einen deutschsprachigen Beipackzettel beizulegen. Es verstößt aber gegen die Markenrechte des ursprünglichen Herstellers, wenn damit auch ein Umpacken in neue Umverpackungen mit neuen Sicherheitsmerkmalen erfolgen soll. Auch die EU-Fälschungsschutzrichtlinie gebietet kein neues Verpacken mit eigenen Sicherheitsmerkmalen, denn derjenige, der öffnet hat sicherzustellen, dass er nur zuvor ungeöffnete Verpackungen ohne beschädigte Sicherheitsmerkmale öffnet und dann ordnungsgemäß wieder verschließt.
BVerG, Urteil vom 10.10.2019, AZ 3 C 8.17; 3 C 15/17; 3 C 16.17; 3 C 17.17; 3 C 10.17
Sektorale Heilpraktikererlaubnis für Logopäden, nicht aber für Osteopathen
Einer ausgebildeten Logopädin ist auf Antrag eine beschränkte (=sektorale) Heilpraktikererlaubnis zu erteilen, wobei sich die Logopädin allerdings einer eingeschränkten Kenntnisprüfunf unterziehen. Im Lichte der durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Berufsfreiheit kommt ein Verweis auf den Erwerb einer uneingeschränkten Heilpraktikererlaubis nicht in Betracht, weil dies eine umfassende Kenntnisprüfun voraussetzen würde. Deren Absolvierung würde denjenigen, der nur auf dem abgrenzbaren Gebiet der Logopädie tätig sein will, unzumutbar belasten. Die Prüfung ist auf das Wissen zu beschränken, welches für die Tätigkeit als Heilpraktiker erforderlich ist und auch noch nicht durch die Prüfungen in dem Bereich der Logopädie nachgewiesen ist. Anders ist es bei Osteopathen, weil deren Berufsbild nicht so klat umrissen ist, dass man von einer Abgrenzbarkeit der erlaubten Heiltätigkeit, die für die sektorale Erlaubnis erforderlich wöre, nicht ausgehen kann.
LG Freiburg, Urteil vom 02.08.2019, 1 O 460/11, 1 O 223/12, 1 O 266/12
Schmerzensgeld wegen Versagensangst bei Hüftendoprothesen
Der Beklagte als Vertreiber eines Schweizer Prothesenherstellers war schon mehrfach zum Schadensersatz verurteilt worden, weil die Hüftprothesen zu Metallabrieb geführt hatten, was wiederum zu Gesundheitsbeeinträchtigungen bei verschiedenen Patienten geführt hatte. Jetzt war zusätzlich ein hohes Versagensrisiko festgestellt worden. Der Hersteller war gem. §§ 1, 3 ProdHaftG zur Schmerzensgeldzahlung verurteilt worden, weil sich Patienten unabhängig vom Risikoeintritt und vom Vorliegen erhöhten Metallabriebes zum operativen Prothesenwechsel aus Versagensangst entschlossen hatten.
BGH, Urteil vom 22.08.2019, AZ III ZR 113/18
Schmerzensgeld nach Verbrühungen im Wohnheim für geistig behinderte Menschen
Die Klägerin ist geistig behindert und bewohnt seit gut einem Jahr ein Wohnheim für geistig behinderte Menschen. Sie zog sich ganz erhebliche Verbrühungen mit nachfolgenden erheblichen Verletzungen und Dauerschäden zu, als sie sich nach entsprechender Erlaubnis ihrer Betreuerin -wie schon einige male zuvor - ein Bad einlassen wollte. Die Klägerin beruft sich insbesondere darauf, dass entsprechend der DIN EN 806-2 sichergestellt hätte sein müssen, dass das Wasser aus der Entnahmestele mit nicht mehr als 43 Grad Celsius austreten könne. Der BGH hat hierzu ausgeführt. dass den Heimbetreiber die Pflicht treffe, unter Wahrung der Würde und des Selbstbestimmungsrechts die ihm anvertrauten Bewohner vor Gefahren zu schützen, die diese nicht beherrschen könnten. Welchen konkreten Inhalt die Verpflichtung habe, einerseits die Menschenwürde und das Freiheitsrecht eines körperlich oder geistig beeinträchtigten Heimbewohners zu achten und andererseits sein Leben und seine körprliche Unversehrtheit zu schützen, könne nicht generell, sondern nur auf der Grundlage einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Dabei ist für die Verkehrspflichten auch auf die sich grundsätzlich aus DIN Normen ergebenden Gefahrenlagen und die Vermeidungsmöglichkeiten abzustellen.
Den Träger des Wohnheimes trifft eine Haftung, wenn die Bewohnerin nach Art ud Ausmaß der Behinderung zu dem schutzbedürftigen Personenkreis gehört. DIes wäre der Personenkreis, der sich selbst wegen eingeschränkter kognitiver Fähigekeiten nicht ausreichend vor Schädigungen schützen kann und deshalb für die Abwehr von Gefahren der Hilfe bzw. Unterstützung bedarf.
OLG Frankfurt, Urteil vom 16.07.2019, AZ 8 U 59/18
Eine Patientin war nach einer Frühgeburt und einer sich anschließenden schwierigen häuslichen Situation nach einem Notruf ihres Ehemannes gegen ihren Willen in die psychiatrische Abteilung eines Krankenhauses eingewiesen worden. Im Rahmen des Aufenthaltes erfolgte eine Zwangsmedikation und eine Fixierung. Das Land Hessen habe die psychisch kranke Patientin zwar im Rahmen seiner Aufgaben zum Schutz der öffentlichen Ordnungund Sicherheit zwar zwangsweise unterbringen dürfen, jedoch sei auch schon vor einem Urteil des BVerfG aus dem Jahr 2018 herrschende Meinung gewesen, dass die 5-Punkt- und 7-Punkt-Fixierung von nicht nur kurzer Dauer als freiheitsentziehender Eingriff von besonderer Qualität nicht von der einfachen richterlichen Unterbringungsanordnung gedeckt gewesen sei und einer besonderen richtrerlichen Genehmigung bedurft habe. Auch die Zwangsbehandlung sei durch die Unterbringungsanordnung alleine nicht gedeckt. Wegen der deshalb rechtswidrigen Fixierung und Zwangsbehandlung über einen Zeitraum von mehr als 2 Wochen wurde der Patientin ein Schmerzensgeld von 12.000 € zugesprochen.
SG Mannheim, Urteil vom 15.05.2019, AZ S 2 KR 3116/17
vollstationäre Krankenhausbehandlung - Vorbereitung Lebendnierenspende
Das SG hat die Klage einer Krankenkasse auf Erstattung von Behandlungskosten gegenüber einem spezialisierten Nierenzentrum wegen einer dreiwöchigen stationären Vorbereitung auf eine Lebendnierenspende abgewiesen. Zu Unrecht habe sich die KK darauf berufen, die Behandlung habe wegen des guten Allgemeinzustandes der Patientin auch ambulant erfolgen können.Der Patientin waren die eigenen Nieren zur Vorbereitung der Transplantation schon Wochen zuvor entnommen worden. Da der spendende Ehemann eine nicht kompatible Blutgruppe gehabt habe, seien neben den üblichen immunsuppressiven Behandlungen noch ergänzende weitere Behandlungen erforderlich gewesen, ebenso die parallel durchzuführenden Dialysen. Die Patientin habe wegen der fehlenden eigenen NIeren in diesem komplexen Fall gar keine ;Möglichkeit der Flüssigkeitsregulierung gehabt, was zu starken Auswirkungen / Belastungen innerhalb sehr kurzer Zeit habe führen können. Deshalb sei die vollstationäre Vorbereitung erforderlich gewesen.
Hess. LSG, Beschluss vom 18.07.2019, AZ L 1 KR 256/19 B ER
massives Untergewicht - Dronabinol / Cannabisextrakt -
Das LSG hat die gesetzliche KV im Wege des einstweiligen Rechtsschutz verpflichtet, bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren bzw. zunächst nur für ein Jahr, die Kosten für die Behandlung / Versorgung mit Dronabinol zu übernehmen. Der 19-jährige Versicherte litt schon seit seiner Kindheit unter einer seltenen Darmerkrankung, die massive schmerzhafte Bauchkrämpfe verursacht. Zur Versorgung der schweren Schmerzen erfolgte eine Versorgung mit Opioden. Begleitend war es zu Appetitlosigkeit und einer erheblichen Unterernährung gekommen. Vom Arzt wurde eine Behandlung der Schmerzen, des Appetits und des Schlafs mit Dronabinol empfohlen. Die Kase lehnte ab, da die Versorgung eine Gefahr der Abhängigkeit von Cannabis bei bereist bestehender Suchterkrankung bestehe. Der bei einer Körpergrösse von 1,80 m nur 44 kg wiegende Versicherte war als Bezieher von Hartz IV zur eigenen Finanzierung der Tehrapie nicht in der Lage. Das LSG verpflichtet zur Versorgung mit Dronabinol, obwohl erst im Hauptsacheverfahren geklärt werdne könne, ob tatsächlich eine andere, dem medizinischen Standard entsprechende Therapie nicht zur Verfügung stehe. Auch sei die Aussicht einer spürbaren positiven Auswirkung auf den Erkrankungsverlauf nur unsicher. In der Abwägung trete das wirtschaftliche Interesse der Krankenkasse aber gegenüber dem grundrechtlich geschützten Recht des lebensbedrohlich untergewichtigen Versicherten auf körperliche Unversehrtheit zurück, denn der behandelnde Arzt habe bescheinigt, dass es unter der Einnahme des Medikaments auf Privatrezept zu einer Reduktion der Schmerzen und einer Gewichtszunahme gekommen sei, was zumindest einen Behandlungsversuch über einen längeren Zeitraum rechtfertige, damit die Wirkungen der Therapie auf den Verlauf und die schwerwiegenden Symptome belastbar beurteilt werden könnten.